Ein Besuch in Hebron – beeindruckend, schön und beklemmend

Am letzten Sonntag im Oktober haben wir es endlich geschafft: Carsten und ich haben zusammen mit dem palästinensischen Reuters-Kameramann aus Ramallah, Hamuda, und dem Kameramann aus Hebron, Yusri,   Hebron, die größte Stadt im Westjordanland mit über 200.000 Einwohnern, besucht.

Vorgenommen hatten wir uns dies schon ganz lange; Carsten war schon dreimal vorher jobmäßig mit seinen Kameraleuten dort unterwegs und es war schon ab seinem ersten Aufenthalt dort für mich klar: diese Stadt möchte ich auch besuchen.

Aber es war nach Carstens Eindrücken dort auch klar, dass wir dies nicht alleine machen wollen, sondern in Begleitung eines Palästinensers, der sich dort gut auskennt – Hamuda und Yusri waren also perfekt.

Warum wir nicht alleine nach Hebron fahren wollten: Hebron ist wie keine andere Stadt ein Brennpunkt im Westjordanland. Nirgendwo sonst treffen palästinensische und jüdische Ansprüche auf dieses Stück Land so dicht aufeinander wie hier. Nirgendwo sonst gibt es so viele gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen jüdischen Siedlern und Palästinensern wie hier.

Ich will jetzt hier keine lange Abhandlung über die Geschichte Hebrons schreiben – wer in die Historie der Stadt und deren besonderer Situation tiefer einsteigen will, findet dazu im weltweiten Netz viele Artikel und Aufsätze und für den schnellen Einstieg gibt es auch einen kompakten Artikel bei Wikipedia.

Nur soviel dazu hier in an dieser Stelle, um meine Eindrücke und Carstens Fotos besser verstehen zu können:

Hebron ist eine der ältesten Städte, die ununterbrochen bewohnt waren und archäologische Funde deuten darauf hin, dass es 3000 Jahre vor Christi Geburt gegründet wurde.

Für die religiösen Menschen, egal ob muslimischen, jüdischen oder christlichen Glaubens, ist die Stadt so bedeutsam, weil hier nach der biblischen Überlieferung Abraham, der Stammvater der Juden, der Muslime und der Christen,  in der „Höhle des Patriarchen“ begraben wurde. Neben ihm auch sein Sohn Ismael, von dem Mohammed, der Prophet des Islam, abstammen soll und sein Sohn Isaak sowie sein Enkel Jakob. Die beiden gehören genauso wie Abraham zu den Erzvätern, aus denen die zwölf Stämme des Volkes Israel hervorgingen.

Der israelische König David soll hier zum König gesalbt worden sein.

Diese biblischen Überlieferungen sind die Hauptgründe dafür, dass Hebron seit Jahrtausenden immer wieder umkämpft und Ort zahlreicher blutiger Kämpfe und Auseinandersetzungen war. Das letzte Massaker fand 1994 statt, dazu komme ich später noch.

Aber jetzt ein großer Sprung in den Oktober 2016:

Als wir uns der Innenstadt Hebrons  näherten, war mein erster Eindruck in den Außenbezirken, was für eine unglaubliche große, quirlige und auch schöne Stadt das ist. Ich war schon oft in Ramallah; kannte also bereits eine große arabische Stadt im Westjordanland recht gut – aber weder Ramallah noch Bethlehem oder Jericho  habe ich als  „schöne“ Städte wahrgenommen – hier hatte ich einen anderen Eindruck, vielleicht schon alleine deshalb, weil die Straßen, durch die wir fuhren, alle  sehr aufgeräumt und sauber wirkten.

Aber ich muss doch noch kurz an die Stadtgrenze zurückspringen. Bevor wir in die Stadt selbst hineinfuhren, passierten wir einen Kreisverkehr, der deutlich stärker von israelischen Soldaten gesichert war als andere Kreuzungen im Westjordanland. Der Grund dafür ist die jüdische Siedlung Kirjat Arba direkt an der Stadtgrenze Hebrons, in der circa 7000 jüdische Siedler mit ihren Familien leben – sie gelten, zusammen mit den Siedlern, die direkt in der Stadt Hebron wohnen, als der harte Kern der radikalen, nationalreligösen Siedlerbewegung im Westjordanland, die weite Teile des Westjordanlands für die Juden beansprucht.

Zurück zu unserer Fahrt durch das Stadtzentrum auf dem Weg Richtung Altstadt.

Unseren ersten kurzen Zwischenstopp machten wir vor einem Siedlerhaus mitten in der Stadt Hebron, das erst kürzlich bezogen wurde.novemberblog-1

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Die Schranke auf dem ersten Bild, die genau neben dem von den Siedlern bewohnten Haus steht, dürfen zwar die palästinensischen  Bewohner des Gebäudes im Hintergrund passieren. Angeblich ist es ihnen aber  durch die israelische Armee untersagt worden,   Besucher in ihr eigenes Haus einzuladen – aus Sicherheitsgründen, die dem Schutz der jüdischen Siedler in dem Haus auf dem zweiten Foto dienen.

Die nächsten Bilder in der Galerie illustrieren unseren Besuch in der Abraham-Moschee. Klickt auf die Bilder, um sie zu vergrößern und die Erläuterungen zu lesen.

Die Hebroner Altstadt gleicht über weite Strecken einer Geisterstadt. Ganze Bereiche und Straßen sind für Palästinenser gesperrt, Läden auf dem ehemaligen Markt dürfen auf Anordnung der israelischen Armee teils nicht öffnen, teils wurden sie verlassen, weil es keine Kunden mehr gibt. Nur wenige Touristen trauen sich in die zerrissene Stadt. Der Konflikt teilt Hebron, und hier und dort sogar einzelne Häuser. In deren Erdgeschossen versuchen arabische Händler ihren Geschäften nachzugehen, in den oberen stark gesicherten Stockwerken leben jüdische Siedler. Netze und Gitter verhindern, dass von oben Unrat auf die Straßen und die Menschen geworfen wird.

Letzte Blicke über die Hebroner Innenstadt.

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Das Grab des Patriarchen, die für Juden und Muslime heilige Ruhestätte Abrahams.

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Unsere Gastgeber luden uns am Abend vor die Tore der Stadt zum Knafeh essen ein, einer palästinensischen Süßspeise aus Ziegenkäse, Teigfäden und Sirup. Sie soll ihren Ursprung in Nablus haben. Mittlerweile ist sie im gesamten arabischen Raum und der Türkei verbreitet. Wenn sie wie hier frisch auf dem offenen Feuer zubereitet wird, ist sie besonders lecker.

So, das wars für dieses Jahr. Wir wünschen euch fröhliche Weihnachten und ein tolles Neues Jahr.

Shalom, salam und tschö,

Heike und Carsten

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